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Von der Schüppe gesprungen

Klettern ist eine sichere Sportart. Absolut! Doch, doch, das denke ich schon. Normalerweise ist es zumindest so. Auf jeden Fall behaupte ich das immer, wenn mich ein Außenstehender zu meinem angeblich so haarsträubend gefährlichen Sport befragt und verständnislos den Kopf schüttelt. Und in der Regel, jetzt wirklich ernsthaft, ist es auch so. Wenn man weiß, was man tut, alle Sicherungen noch mal anschaut bevor man startet, sich der objektiven Gefahren bewusst ist, dann kann eigentlich so viel nicht mehr passieren. Okay, Halma spielen wäre noch ungefährlicher, aber wilde Hasardeure sind wir Kletterer doch nun wirklich nicht, oder? Genau!

Uli in Hexentrick, 7, im Hönnetal
Uli in Hexentrick, 7, im Hönnetal

Obwohl, so hin und wieder, also ganz ab und zu nur, hab ich auch schon mal viel Glück gehabt. Ich will ehrlich sein: Hin und wieder hätte doch schon mal viel mehr passieren können. Gewaltig sogar. Saudumme Fälle natürlich, absolut nicht repräsentativ für den Klettersport insgesamt. Aber nicht wegzuleugnen.

Einmal zum Beispiel, es muss so 1988 gewesen sein, ich war noch jung aber nicht mehr ganz unerfahren, war so ein Fall. Wir waren im Hönnetal am Bärenstein. Unser Kletterkönnen reichte gerade so für den siebten Grad. Doch wir fühlten uns großartig und dieser Klettertag sollte wieder ein Highlight in unserer Laufbahn werden. Michael und ich hatten damals das Motto „wir sind zwar nicht die Besten am Fels, aber die Lustigsten“, was irgendwie auch zutraf. Trotzdem hatten wir an diesem Tag einen gewissen Ehrgeiz mitgebracht. Wir wollten also keine Zeit verlieren und nahmen uns als erste Route gleich den Hexentrick vor, der ein glatter Siebener ist und somit genau an meiner Leistungsgrenze lag. Es ging also frisch ans Werk, schnell über den Vorbau hochgeturnt und den zweiten HakenLexikon geklinkt. Von dort muss man aus einem Untergriff mit der rechten Hand weit hinauf über einen kleinen Überhang und ein Zweifingerloch erwischen. Durchziehen, mit links einen mäßigen Zangengriff fixieren, nachtreten und mit rechts in ein großes Loch schnappen. Wider Erwarten gelang mir diese Stelle auf Anhieb und ich erreichte wenig später mit dicken Unterarmen die Umlenkung. Ich hängte die Umlenkung ein und gab Michael das Kommando, mich abzulassen, was er auch tat. Nach zwei Metern zügigen Ablassens hörten wir beide ein lautes „ratsch“, ich kippte abrupt nach hinten weg und konnte mich gerade noch am Seil festhalten. Ein Blick nach unten zum Hüftgurt, in ungefähr diese Gegend war auch mein Herz abgerutscht, erklärte diesen Vorgang. Ich hatte in meinem Eifer vergessen, die Bandschlinge des Hüftgurts in der dafür vorgesehenen Schnalle zu fixieren und saß nun nur noch in den Beinschlaufen. Der Hüftgurt selber hatte nur durch den Klettverschluss der Hüftschlinge gehalten. Ein Sturz an der Zweifingerlochstelle unten in den so verschlossenen Gurt wäre wohl übel ausgegangen, malte ich mir lebhaft aus. Zuerst das ratsch, der Körper kippt schwungvoll nach hinten um, der Hinterkopf schlägt kräftig am Fels auf, der nun senkrecht nach unten hängende Körper rutscht aus den Beinschlaufen heraus, eventuell bleibt ein Fuß noch mit der Ferse in der Beinschlaufe hängen... Michael ließ mich ganz behutsam zum Boden ab. Auf mein Drängen hin, ließen wir diesen Klettertag daraufhin unverzüglich in einem nahegelegenen Biergarten ausklingen.

Zwei Jahre später war ich mit Hinrich in der Schweiz. Wir hatten ein paar alpine Unternehmungen vor. Sogar Bohrwerkzeug und HakenLexikon hatten wir dabei, weil Hinrich im Jahr zuvor eine phantastische Wand ohne bestehende Routen entdeckt hatte, in der wir aktiv werden wollten. Die Wand war aus dem Tal leider von nirgendwo aus zu sehen. Da das Wetter in höheren Lagen konstant schlecht blieb und wir deswegen nie hinaufgestiegen sind, habe ich bis heute noch keinen Blick auf diese Wand werfen können. Das erwähnte schlechte Wetter hielt uns also in den Klettergärten im Rhonetal fest, die uns dann allerdings zunehmend besser gefielen. So waren wir an einem Tag in Rischinen unterwegs, einem Granitgebiet nördlich von Brig mit steilen Platten und wilden Rissen, die teilweise selbst abgesichert werden müssen. Nachdem wir den Bridwell-Riss und Teamwork abgehakt hatten, wollten wir zurück zum Auto, um zu einem anderen Sektor zu fahren. Der Pfad führte oberhalb einer langgestreckten Wand entlang. Von rechts wucherte niedriges Gebüsch auf den Pfad, links begann sofort leicht abschüssig und abgerundet die etwa 15 Meter hohe Wand des Sektors „Steile Platten“. Wir näherten uns einer riesigen Kiefer, deren Stamm dicht am Wandfuß wurzelte und die unseren Pfad nochmals um ca. 15 Meter überragte. Dementsprechend war der Pfad dicht mit Kiefernnadeln übersäht. Als ich einem von rechts hereinwucherndem stachligen Gebüsch leicht nach links ausweichen wollte, zog es mir auf dem abschüssigen Nadelteppich plötzlich die Füße weg und ich fand mich Sekundenbruchteile später  drei Meter tiefer mit dem linken Arm über einem starken Ast der Kiefer baumelnd wieder. Als der erste Adrenalinstoß sich leicht gelegt hatte, suchte ich für die Füße einen Tritt auf einem Aststumpf, zog den Rucksack von den Schultern und warf ihn die verbleibenden zwölf Meter herunter. Vorsichtig kletterte ich, am ganzen Körper zitternd, am Baum nach unten. Der Angstschweiß, Baumharz und kleine Rindenstückchen brannten wie Feuer in der offenen Wunde in meiner Achselhöhle. Ich hatte nur ein Muskelshirt an. Hinrich fuhr mich mit dem Auto zu dem nahegelegenen Stausee, wo ich versuchte, mit dem eiskalten Gletscherwasser den gröbsten Schmutz abzuwaschen. Für die nächsten Tage verzichtete ich auf die Benutzung meines Deorollers und spreizte den linken Arm immer ein wenig seitlich ab. Meine Meinung zu Bäumen vor den Felswänden von Klettergebieten, die ich bisher immer als sehr störend empfunden hatte, hat sich danach etwas geändert. Dieser hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet.

Hinrich beim Abseilen ins Couloir unterhalb des Schidkrötenfels an der Grimselpass-Straße
Hinrich beim Abseilen ins Couloir unterhalb des Schidkrötenfels an der Grimselpass-Straße

 Nachdem die Verkrustungen in meiner Achselhöhle wieder das  Anheben des Arms erlaubten, wollten wir zumindest noch eine alpin angehauchte längere Tour klettern. Unsere Wahl fiel auf „Liebe und  Leidenschaft“ 7/7+, eine Route von Kaspar Ochsner aus dem Jahr  1984 am Schidkrötenfels neben der Gelmerfluh an der Grimselpass-Straße, die immerhin fünf Seillängen lang ist. Der Zustieg verläuft  vom vielleicht bekannten Parkplatz Chüenzentennlen aus zuerst über  bewachsene Geröllhänge und dann durch ein Schneecouloir, für das  wir extra unsere Bergschuhe angezogen hatten. Am Beginn des Couloirs mussten wir unter einer riesigen Schneebrücke mit sicherlich  fünf Metern Durchgangshöhe hindurchgehen. Für solche Naturspektakel hatten wir jedoch keine Augen, schließlich wollten wir klettern  gehen. Auf „Liebe und Leidenschaft“ will ich hier nicht näher eingehen, kann sie aber für Granit-Liebhaber nur empfehlen, zumal es keine Reibungskletterei ist, wie man sie talabwärts an der Handegg findet. Sogar ein kleines Rissdach ist geboten. Nach erfolgreicher Tat, einer Abseilstelle in der Schlucht und dem Geschlidder im Schneecouloir mussten wir wieder unter der Schneebrücke durch und beäugten sie diesmal etwas genauer. Dies war auch die letzte Gelegenheit dazu, wie wir gleich feststellen würden. Als wir nämlich 30 Meter weiter stehen blieben, um den Weiterweg zu diskutieren, wurden wir durch eine Art Erdbeben aufgeschreckt. So nämlich fühlte und hörte es sich an, als die Schneebrücke mit lautem Krachen in sich zusammenstürzte. Die Eismenge vom Volumen eines größeren Lastwagens lag nun genau da am Boden, wo wir vor einer halben Minute und vor vier Stunden durchgelaufen waren. Gut, dass nicht noch kurz vorher einer von uns mal eben pinkeln musste.

Ulrich Schlieper, August 2002

Als eine Art Fortsetzung dieser Geschichte ist die Story Der Berg, der sich drehte. Oder: Graue Wand - Conquest anzusehen. Viel Spaß beim Lesen!

© 2002-2009 by Ulrich Schlieper - Text and Photos