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Der Berg, der sich drehte
Oder: Graue Wand – Conquest


Die folgende Geschichte handelt über eine lang geplante alpine Sportklettertour, die leider nur teilweise erfolgreich umgesetzt werden konnte. Je nachdem aus wessen Blickwinkel der Beteiligten man die Sache sieht. Es ist außerdem quasi die Fortsetzung zu „Von der Schüppe gesprungen“.

Hinrich und ich hatten uns beide den KletterfĂĽhrer „Schweiz-Extrem“ von JĂĽrg von Känel gekauft. Wir hatten uns eine kleine alpine Wunschliste fĂĽr diesen Sommer  zusammengestellt, auf deren erstem Platz die Route „Conquest“ von den GebrĂĽdern Remy an der Grauen Wand stand. Wir waren dermaĂźen von den

Hinrich betrunken im Kofferraum meines Autos auf einem Zeltplatz im Tessin, nachdem uns auch dort der Regen eingeholt hatte.
Hinrich betrunken im Kofferraum meines Autos auf einem Zeltplatz im Tessin, nachdem uns auch dort der Regen eingeholt hatte.

Fotos dieser Route begeistert, dass wir sie einfach machen mussten. Auch wenn uns beim Anschauen des Bilds der Schlüsselseillänge mit einem grässlichen Hand- und PiazrissLexikon immer das nackte Grauen über den Rücken lief. Beide hatten wir so lange unsere Kletterführer studiert, dass sich beim Aufschlagen automatisch die Seite 152/153 öffnete mit dem gerade erwähnten Foto des sogenannten „super-fissure“.

Nach fast einer Woche Regen in der Zentralschweiz, waren wir erst mal für ein paar Tage ins Tessin geflohen, wo wirklich die Sonne schien. Am Anfang zumindest. Am dritten Tag war das Zelt durchnässt und wir fuhren wieder zurück in das Chalet im Rhonetal, das Hinrichs Eltern zusammen mit einigen anderen Leuten irgendwie gehörte. In einem kurzen Schönwetterloch gelang uns die “Motörhead” am Eldorado Dome am Grimselpass. Auch eine Route von den Remys. Angeblich die schönste VerschneidungLexikon der Alpen, hab ich irgendwo mal gelesen. Nach einer weiteren knappen Woche Schlechtwetter hatten wir die Schnauze nun komplett voll. In unserer Verzweiflung hatten wir schon die Boulder-Lexikon und Klettermöglichkeiten

Hinrich beim Bouldern am Chalet
Hinrich beim Bouldern am Chalet

auf dem Balkon des Chalets ausgecheckt. Wir waren so weit, dass wir unsere alpinen Pläne für dieses Jahr begruben. Ich hatte Hinrich von Südfrankreich vorgeschwärmt, wo er bis dahin noch nie gewesen war. Überzeugt hatten ihn letztlich nicht die Verdon-Schlucht oder Buoux, sondern die Aussicht auf steile Felsen mit Meerblick direkt oberhalb von Monte Carlo. Wir packten das Auto voll und fuhren das Rhonetal hinab in Richtung Martigny. Bald ließ der Regen nach und im Autoradio änderte der Schweizer Wetterdienst plötzlich seine Meinung für die nächsten Tage. Kurzentschlossen bogen wir bei Sion rechts ab und fuhren hinauf zum Sanetschpass. Zwei Tage fighteten wir hier im nadel-rauen Kalk, wobei Hinrich sich seine moralische Krise gönnte und ich fast alles vorsteigen durfte. Das Wetter war ziemlich kalt, aber sonst überraschenderweise prima. Also doch in die Berge. Wir fuhren zurück.

Die Südwand der Grauen Wand. Die Route Conquest verläuft im linken kompakten Wandbereich.
Die Südwand der Grauen Wand. Die Route Conquest verläuft im linken kompakten Wandbereich

Am nächsten Morgen starten wir schon zur Unzeit zum Furkapass. Hinrich hängt mich auf den eineinviertel Stunden zum Einstieg der „Conquest“ deutlich ab. Ich bin dadurch schon etwas ermattet, er nicht mehr zu halten. Die Sonne brennt auf den Gletscher, uns ist warm und wir entscheiden uns leichtsinnigerweise nur fürs T-Shirt bzw. Muskelshirt für die 300 m hohe Wand mit neun Seillängen. Der Rucksack liegt ja direkt am Einstieg und wir werden wieder über die Route abseilen. Wir führen noch eine kurze Diskussion, ob wir mit oder ohne Sonnenbrille klettern sollen. Vor allem ich bin doch noch mehr auf Südfrankreich eingestellt als auf alpine Wände.

Wir hatten schon lange vorher ausgemacht, dass Hinrich die Schlüsselseillänge vorsteigen würde. Er ist der etwas bessere Rissspezialist von uns beiden, was jedoch nicht viel heißen will. Aber unter den Blinden ist der Einäugige König. Also ist er auch mit der ersten Länge dran und muss sich vom Gletscher aus über die Randkluft an den Fels zittern. Hinrich hat einen fantastischen Tag erwischt, nichts kann ihn heute stoppen. Nachdem auch er von einem kleinen Felssporn aus das obligate Foto von mir im unteren Teils des „super-fissure“ gemacht hat, ist er mit

Hinrich in der 5. Seillänge (7+) der Conquest.
Hinrich in der 5. Seillänge (7+) der Conquest

den entscheidenden 30 Metern der Route dran. Er löst seine Aufgabe bravourös und ist total happy. Mit dicken

Uli in der 6. Seillänge. Der obere Teil des Risses ist die Schlüsselseillänge (8-).
Uli in der 6. Seillänge. Der obere Teil des Risses ist die Schlüsselseillänge (8-)

Armen komme ich wenig später am vorletzten Standplatz an. Von hier haben wir eine tolle Aussicht auf die zahlreichen Kletterer in der klassischen Niedermann-Führe weiter rechts von uns. Unsere letzten beiden Seillängen im sechsten Grad sind nun nur noch eine leichte Pflichtaufgabe.

Gelassen gehe ich den Riss in der folgenden Platte an und gewinne rasch an Höhe. Nach etwa 15 Metern komme ich etwas ins Stocken. Der letzte HakenLexikon ist schon ein gutes Stück unter mir und richtig leicht ist es irgendwie auch nicht. „Cool bleiben“, denke ich mir, „und geschwind einen FriendLexikon legen.“ Ist aber nicht so einfach. Der Riss ist zu beiden Seiten hin unangenehm rund und bietet keine gescheiten Klemmmöglichkeiten. Ich hänge in einer Art PiazstellungLexikon mit der rechten Körperseite zum Fels. Genau auf dieser Seite von meinem Gurt hängen, zwischen mir und dem Fels eingeklemmt, die Friends, an die ich jetzt nicht drankomme. Mist! Also eben umdrehen nach links und dann locker den Friend in den Riss schieben. So plane ich. Dummerweise spüre ich meine Unterarme schon wieder merklich, werde ein klein wenig hektisch und achte bei der wackligen Drehung nach links nicht mehr so recht auf die Seilführung. Ich fluche. Jetzt hänge ich mit der linken Seite am Fels und das Seil läuft rechts von mir senkrecht runter zum Haken. Noch bevor ich nach einem passenden Friend fingern kann, geht’s auf einmal abwärts. Die Kletterer drüben in der Niedermann-Führe rauschen blitzschnell an mir vorbei. Plötzlich dann dreht sich die gesamte Graue Wand mitsamt den Kletterern in der Niedermann einmal um 360°. Benommen hänge ich sieben Meter tiefer im Seil, der untere Teil meines Oberkörpers tut brutal weh. Mir wird klar, dass ich wohl gestürzt bin. Durch meine blöde Seilführung hat mich das Seil, als es straff wurde, einmal komplett herumgeschleudert und mich hat’s dabei voll gegen den Fels geknallt.

Heli der Schweizer Rettungsflugwacht
Heli der Schweizer Rettungsflugwacht beim Einsatz in der Grauen Wand

Hinrich lässt mich zum Stand ab und verstaut mich hinter einer Felsschuppe drei Meter unter den Standhaken. Ich nehme eine gekrümmte Embryostellung ein, mir wird kurz schwarz vor Augen und ich zittere wie Espenlaub. Die Schmerzen im unteren Rippenbereich sind brutal. Hinrich faselt etwas vor sich hin von „Schock“, „innere Verletzung“ und „nicht mehr in der Lage selber abzuseilen“. Er werkelt wie ein Berserker mit den Zwillingsseilen und lässt mich 50 Meter ab auf den Felssporn. Ich friere wie ein Rehpinscher im Schnee nur in meinem Muskelshirt. Unten auf dem Gletscher sind Leute. Hinrich ruft runter, dass sie von der nahe gelegenen Albert-Heim-Hütte einen Hubschrauber rufen sollen. Der kommt auch überraschend schnell, dreht eine Runde, um sich ein Bild zu machen und landet dann an der Hütte. Dort wird das Windenseil mit einem Kletterseil verlängert und unten ein Bergretter drangehängt, der kurz darauf bei uns auf dem Felssporn einschwebt. Er untersucht mich kurz und steckt mich in einen speziellen Gurt, mit dem ich sogleich mit ihm zusammen ans Windenseil gehängt werde. Leider verläuft der Gurt direkt über meine lädierten Rippen, so dass ich den Flug über den Gletscher, 20 m unter dem Heli pendelnd, nicht so recht genießen kann. An der Albert-Heim-Hütte werden wir am Boden abgesetzt, der Heli landet, ich werde auf eine Bahre gewuchtet und bekomme einen Kaffee und eine Zigarette. Die Jungs von der Schweizer-Rettungsflugwacht haben über Funk schon den nächsten Einsatz bekommen und schieben mich flott mit der Bahre hinten quer in den Heli. Die Tür geht leider nur zu, wenn ich den Kopf hebe und den Oberkörper etwas aufrichte, was meine Schmerzen nicht gerade lindert. So habe ich auch an dem Flug ins Spital von Altdorf nicht so meine rechte Freude. Dort werde ich dann mit roher Gewalt wieder gerade gebogen und geröntgt. Diagnose: Rippenbogenfraktur sowie Verdacht auf innere Verletzungen. Deshalb bekomme ich auch drei Tage nichts zu essen und strikte Bettruhe, damit sie mich jederzeit bei Bedarf aufschneiden können. Der Hunger und die Langeweile sind ziemlich übel. Zum Glück ist einer der Pfleger auch Kletterer und versorgt mich mit alten schweizerischen Kletterzeitschriften. Nach drei Tagen hat der Oberarzt endlich ein Einsehen mit mir und Hinrich kann mich abholen. Im Schrank hängen nur der Klettergurt und das Muskelshirt.

Hinrich hatte am Berg noch seine liebe Not gehabt, nachdem der Bergretter und ich dort so plötzlich entschwebt waren. Alleine abseilen, das Material zusammenpacken und dann zwei Rücksäcke ins Tal schleppen. In den nächsten Tagen machte er noch ein paar kurze Routen im Klettergarten, wo ich ihn von unten an Bäumen sichern konnte. Einmal schlug er mir dafür sogar extra einen BohrhakenLexikon. Ich konnte einen Wetterumschwung noch lange Zeit danach mit meinen Rippen präzise vorhersagen.

Ulrich Schlieper, Januar 2003

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